Description
Von Hanf ist die Rede – Kultur und Politik einer Pflanze
Rezension von: Dr. Hubert Kolling
Wie der SPIEGEL bereits Ende 1995 in einer ausführlichen Story («Zapfhähne raus, Joints rein») berichtete, boomt die Cannabis-Szene in Deutschland wie nie zuvor: In Kneipen werde der Stoff unter dem Tresen gehandelt und selbst in Kliniken würden Patienten – ärztlicherseits geduldet – Cannabis als Medikamentenersatz rauchen. Während die Politiker über den Haschischverkauf in Apotheken streiten, bereitet sich die Szene jedenfalls auf die Freigabe des Cannabis-Handels vor – fast täglich öffnen in Deutschland neue Läden mit Hanfwaren und Kiffer-Utensilien – allein in Berlin soll es 80 «Coffee-Shops» geben – und machen Millionenumsätze.Hanf, Cannabis, Marihuana – was für den einen der neueste Schrei auf dem Öko-Markt, ist für den anderen ein bevorzugtes Rauschmittel oder Medikament. Trotz seiner wachsenden Bedeutung stellt der Hanf, so die deutsche Bezeichnung des Cannabis, jedenfalls keine typische Zivilisationspflanze des 20. Jahrhunderts dar. Vielmehr berichtete schon Herodot, Vater der Geschichtsschreibung, bereits im 5. Jahrhundert vor Christus von Hanf-Dampfbädern, die das Volk der Skythen regelmäßig durchführte und dabei «heulte vor Lust». Aus der gleichen Zeit sind auch erste Aufzeichnungen über die Verwendung von Hanf aus China erhalten. Und seit dem 1, Jahrhundert vor Christus lässt sich der Weg, den das Gewächs durch Europa nahm, nachvollziehen.
Wie wohl kein anderer hat Hans-Georg Behr, Fachbuchautor und bekennender Kiffer, dreißig Jahre lang alles zum Thema «Hanf» gesammelt und daraus ein umfangreiches, üppig bebildertes Buch zur «Kultur und Politik einer Pflanze» geschrieben, das als eine gelungene Mischung aus Text, Zitatensammlung und Ausstellungskatalog bezeichnet werden kann. Bei dem auf Hanfpapier gedruckten Band, der innerhalb eines Jahres drei Auflagen erlebte, handelt es sich um die vollständig überarbeitete, aktualisierte und um rund ein Drittel erweiterte Neuausgabe des 1982 erstmals im Sphinx Verlag (Basel) erschienenen Buches. Seine Veröffentlichung, die neben einer Vielzahl von Einzelpersonen den 521.800.000 von der Welt-Gesundheits-Organisation (WHO) geschätzen Hanf-Konsumenten gewidmet ist, versteht der Autor, worauf er in einem «persönlichen Nachwort» hinweist, als «eine Bestandsaufnahme, zweifellos eine parteiische, aber nicht unbedingt für Hanf, sondern gegen die Verbohrtheit und Unehrlichkeit, mit der die sogenannte Drogendiskussion betrieben wird» (S. 5505).
Nach Ansicht von Behr gibt es zwar kein «Recht auf Rausch», daraus dürfe man aber nicht den Umkehrschluss ziehen, dass Rausch ein Unrecht sei: «Er ist, auch schon in seiner leichtesten Form, ein Ausflug aus der nüchternen Normenwelt einer auf Nüchternheit basierenden Gesellschaft. Solche Ausflüge brauchen wir alle, um die Nüchternheit ertragen zu können, und dabei sollte auch die Verhältnismäßigkeit der Mittel berücksichtigt werden. Eine ´nüchterne´ Gesellschaft ist kein Ziel, sondern höchstens eine Vision für Sonntagsreden. Das menschliche Rauschbedürfnis ist eine Tatsache, alt wie die Menschheit und nur mit ihr abzuschaffen» (S. 466).
Nachdem der Autor die besagte Pflanze aus nur allen erdenklichen Richtungen beleuchtet hat, macht er auch Vorschläge «für eine andere Drogenpolitik» (S. 496-502). Diese seien zwar derzeit nicht politisch umsetzbar, aber dennoch nachdenkenswert. So sollte seines Erachtens zunächst das Betäubungsmittelgesetz in zwei Gesetze geteilt werden, in eines für Natursubstanzen und eines für chemisch aufbereitete. Des weiteren vertritt der Autor die folgenden, in einem fünfjährigen Testlauf zu erprobenden Vorstellungen:
- Der Besitz von bis zu fünfzig Hanfpflanzen ist erlaubt. l
- Der Besitz von mehr als 50 Hanfpflanzen wird mit einer Steuer von DM 15,- / Pflanze belegt, zusätzlich mit den sonst für Erwerbsgärtnerei üblichen Abgaben.
- Der Besitz von Cannabis-Präparaten für den Eigenbedarf bis 30 Gramm ist straffrei; eine Beschlagnahmung findet nicht statt.
- Es müssen sinnvolle Regelungen für den zu tolerierenden Handel getroffen werden.
- Der Großhandel wird weiterhin verfolgt wie bisher.
Insgesamt betrachtet hat Hans-Georg Behr das wohl umfangreichste und informativste Buch vorgelegt, das je zu Hanf als Genuss- und Rauschmittel geschrieben wurde. So umstritten einzelne Ansichten und Aussagen des Autors auch sein mögen, wer mehr über die Geschichte und Kultur der Pflanze, ihren Konsum und die durch sie bedingten politischen Implikationen erfahren möchte, dem steht mit dem Buch – zu diesem von Emotionen häufig überfrachteten Thema – eine gewichtige und reichhaltige Informationsquelle zur Verfügung. Aufgrund der überaus positiven Darstellung der Thematik dürfte das Buch den zigtausend Benutzern des besagten Stoffes in kurzer Zeit als «Bibel» dienen.
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